Oh, heiliges Big Data, belüge uns heute

In einer längst vergangenen Zeit, so steht es in den Büchern die Antike, gab es einen Ort, an dem die Wahrheit ein Zuhause hatte. Dieser Ort hiess Delphi. Die geflügelte Schlange Pytha, durch Dämpfe aus einer Erdspalte in Trance gehalten, orakelte nur an bestimmten Tagen. Da es ja nicht einfach ist, neun Monate im Jahr high zu sein, machte sie im Winter während drei Monaten Pause.  Ausserdem, so wie bei hochklassigen Abzockereien üblich,  stand Pytha nur den Wohlhabenden zur Verfügung.

Ruinen in Delphi, Griechenland

Mit den heutigen Orakeln kann die alte Pytha nicht mithalten. Bild: Mr.checker – CC BY-SA 3.0 Wikimedia Commons

An den Segnungen der Algorithmen teilhaben
Wir können von Glück reden, dass sich die Lage seither für das Prekariat deutlich verbessert hat. Die Segnungen des allwissenden Big Data haben sich teilweise demokratisiert. Heute kann sich eine grosse Schicht der Bevölkerung am Wissen des grossen Datenhaufens laben, was das Leben vieler Menschen erleichtert. Und das finden wir alle toll.

Schwierige Fragen
Nur scheinen sich aber neue Fragen zu stellen. So las ich letztens den Artikel „Should Google Always Tell the Truth?“ auf der Website theatlantic.com. Darin stellt der Autor die Frage, wie Google antworten soll, wenn jemand z.B. die Frage „Are humans causing climate change?“ oder „Should I vaccinate my child?“ im Suchfeld eingibt.

Die Wahrheit aus dem grossen Datenhaufen
Ich kann gar nicht sagen, wie irreführend und realitätsfremd die Gedankenspiele in diesem Text sind. Es fängt schon beim Titel an: Jedem halbwegs intelligenten Menschen sollte klar sein, dass es DIE Wahrheit nicht gibt und sie erst recht nicht durch das Eingabefeld einer Suchmaschine zu finden ist. Da findet man im besten Fall nur Fakten. Und nicht zuletzt führt der Umkehrschluss des Titels zur Frage: In welchen Fällen sollen uns denn die Computer anlügen? (Zu unserem Wohl natürlich!) Ja, ganz genau, das ist so absurd wie es im ersten Moment klingt.

Zweifelhafte Segnungen aus dem Suchschlitz
Trotzdem halte ich den kurzen Artikel für lesenswert. Es handelt sich hierbei aus verschiedenen Gründen um ein Lehrstück. Man kann darin nachlesen, was passiert, wenn man das eigene Denken auslagert. Und man sieht, was die Qualitätskontrolle in Redaktionsstuben noch wert ist.

Das Gute an der heutigen Situation ist, dass sich – und da sind wir der griechischen Pytha weit voraus – ziemlich genau beziffern lässt,  um wie viel das moderne Orakel namens Big Data uns das Leben erleichtert. So ziemlich genau um das Gewicht des menschlichen Hirns …