Heute schon geteilt?

Waldmüller_-_Zwei_arme_Mädchen_teilen_ihr_Brot

Im 19. Jahrhunder war Sharing noch eine traurige Sache: Zwei arme Mädchen teilen ihr Brot, dokumentiert von Ferdinand Georg Waldmüller. (Wiki Commons)

Weil ich hier in letzter Zeit viel über die Zustände in unserer schönen neuen Welt gelästert habe, will ich heute einmal positiv sein. Ich will die Annehmlichkeiten preisen, die uns das digitale Leben beschert, und ich will gleich anfangen mit einer Ode an die neue Form des Teilens.

Früher war das ja eine tränenreiche Angelegenheit. Was habe ich es gehasst, wenn mir Mutter einen klitzekleinen Schokoriegel zusteckte mit dem nachdrücklichen Auftrag, ihn schön (!) mit meinem Bruder zu teilen. Zum besseren Verständnis: Letzterer war ein Neidhammel der Extraklasse und ein übler Petzer dazu. Beim kleinsten Zweifel daran, die grössere Hälfte bekommen zu haben, rannte er gleich flennend zu Mamma und ich hatte dann wieder die Hölle.

Wie viel angenehmer ist das Teilen heute! Während es in vordigitaler Zeit meist verlustbehaftet war, kann man durch Teilen im digitalen Sinn eigentlich nur gewinnen. Freilich braucht‘s dazu eine minimale technische Ausrüstung und die nötigen Dienste. Aber erstere hat hierzulande eh schon jedes Kind in mehrfacher Ausführung und zweiteres gibt’s gratis an jeder virtuellen Ecke und für jede Lebenslage.

Die belesenen unter Ihnen haben schon bemerkt: Ich schreibe hier vom Teilen 2.0, das sich eigentlich Sharing nennt. Die neue Version hat nicht nur den Vorteil, dass sie moderner klingt, sondern auch, dass sie weitgehend frei von moralischem Ballast ist. Es geht also nicht mehr darum, eigenen Besitz zwecks Nutzbarmachung für Dritte aufzuteilen, sondern bloss Kopien davon an andere zu verteilen. Umgekehrt lässt sich damit auch das Nutzungsrecht an Dingen erlangen, die man nicht besitzt.

Fazit: Sharing verursacht kaum Einbussen am Besitzstand und macht deshalb im Gegensatz zum veralteten Teilen wirklich glücklich. Es versorgt die Mädels zeitnah mit den neusten Clips ihrer Boygroups. Es verhilft den Jungs zu kurzweiligem Anschauungsunterricht in Sexualkunde und Anatomie. Es verschafft den Klugscheissern unter uns ein angemessenes Publikum. Es macht die Verwaltungsangestellte aus dem Bundeshaus über Nacht zum Star. Es verbessert dem Internethändler die Konversionsrate und erleichtert der Oma die Teilhabe an ihrem hochbegabten Enkel. Und am Ende profitieren gar noch die selbstlosen Betreiber sozialer Netzwerke durch präzisere Nutzerprofile.

Also: heute schon geteilt? Nein? Dann fangen Sie jetzt gleich an! Überraschen Sie Ihre Lieben und teilen Sie beispielsweise diesen Post mit ihnen! Sie werden es nicht bereuen.