Netzneutralität – das Märchen von der einfachen Lösung

Ein Netzwerk-Switch an dem alle Anschlüsse belegt sind.

Neutzneutralität – die Sachlage ist wesentlich komplizierter, als es viele glauben wollen.

Eigentlich wäre es ja angebracht, sich diese Woche kurz über die vielen naiv-empörten Reaktionen zu mokieren, die im Zusammenhang mit dem manipulierten „Newsfeed“ auf Facebook in die Schlagzeilen gekommen sind. Aber das wäre sozusagen ein Penalty ohne Goalie…

Mich beschäftigt im Moment stattdessen das Thema Netzneutralität. Die relativ oberflächlich gehaltene Diskussion, die den Zugang zum Internet zum Menschenrecht erhebt und so tut, als seien alle Bits und Bytes von Schöpfung an gleich, wird uns bezüglich der wirklich zu lösenden Probleme nicht weiterbringen. Die Gründe dafür, dass dieses Thema so abgehandelt wird, sind verständlich: Es ist sehr technisch und komplex. Ausserdem ist es recht einfach auf die bösen Internetserviceprovider einzudreschen, die einem die Musik oder das Video skandalöserweise zum monatlichen Downloadvolumen dazurechnen. Obwohl ich selbst kein Informatiker bin, möchte ich in den nächsten Posts einige Einblicke in die Materie ermöglichen. Schlüsse daraus ziehen muss dann jede(r) selbst.

Das Gleichgewicht im Netz ist endgültig dahin
Das Internet ist als dezentraler Zusammenschluss von verschiedenen regionalen und lokalen Netzen organisiert. Auf globaler Ebene sind diese Netze (z. B. zwischen den Kontinenten) durch sogenannte „Backbones“ verbunden. Die verschiedenen Internetserviceprovider (ISPs) versuchen stets, sich in einem gegenseitigen Ausgleichszustand zu bewegen, denn Datenverkehr (abhängig von Bandbreite und Zeit) kostet. Wenn das nicht möglich ist, dann werden entweder Ausgleichszahlungen fällig oder man versucht andere Lösungen zu finden um den Datenverkehr zu minimieren. So werden etwa von den Endverbrauchern besonders nachgefragte Daten bzw. Inhalte beim ersten Laden zwischengespeichert oder in separaten Boxen (Bsp. Google Global Cache) in den eigenen Datencentern vorrätig und durch den Inhalte-Anbieter aktuell gehalten.

Das Problem ist nicht der Inhalt, sondern die Menge
Es geht also ums Gleichgewicht. Seit der Einführung von Filesharing-Netzwerken und später von Cloud- und insbesondere Streamingdiensten wird das Gleichgewicht komplett über den Haufen geworfen. Einem Durchschnittsnutzer ist es nicht klar, dass es für den ISP ein massiver Unterschied ist, ob ich im Netz surfe oder Musik oder Filme on demand beziehe. Die Bandbreite und Datenmenge wird dadurch um ein x-Faches erhöht. Hier liegt einer meiner Kritikpunkte zur aktuellen Debatte: Es geht nicht darum was, sondern wieviel? Es wird so getan, als ob die bösen Internetprovider gerne die Zensurkeule auspacken würden. Das ist zwar technisch möglich, aber das zu tun erscheint mir keine nachhaltige Geschäftsstrategie. Es ergibt keinen Sinn, ständig den einen Streaming-Dienst zu pushen, obwohl die Nutzer einen anderen wollen. In Wirklichkeit geht es bei dieser Frage nur um die technischen Anforderungen und Kosten, die mit dieser zunehmend exzessiven Online-Nutzung unweigerlich zusammenhängen.

Das eigene Angebot zu priorisieren ist okay
Wenn beispielsweise die Swisscom ihr eigenes Online-Video-Angebot keiner Download-Beschränkung unterwirft, dann will sie vielleicht ihr eigenes Produkt pushen – was ich grundsätzlich als rechtmässig und nicht verwerflich erachte – oder sie ist einfach nicht bereit, die Kosten für den Datentransfer von anderen Videodiensten zu zahlen.
Oder anderes betrachtet: Wenn es keine Download-Beschränkung gibt, werden die eigenen Datenpakete priorisiert (Stichwort QOS), weil die Swisscom schliesslich in erster Linie dafür sorgen muss, dass die eigenen Services reibungslos laufen. Dafür haben die Leute schliesslich bezahlt. Das mag für den einen Nutzer unbrauchbar und nutzlos sein, denn er oder sie will nur einen schnellen Internetzugang, aber für den anderen ist das nützlich.

Konkret heisst das: Wenn Orange den Datenverkehr von Spotify nicht zum bezahlten Volumen dazurechnet, dann wird Spotify wohl bezahlt haben (die begrenzte Bandbreite im Mobilfunk verschärft hier die Situation noch) . So einfach ist das.

Im nächsten Post gehe ich auf den Kritikpunkt „Internet der verschiedenen Geschwindigkeiten“ ein und auf die Angst, ohne neutrale Netze an Innovationspotenzial zu verlieren.