Wenn es um die Diskussion der Netzneutralität geht, wird gerne das Schlagmichtot-Argument Innovationskraft aufgetischt. Als Beispiel hier ein Text von der Website netzneutralität.ch:
„Netzneutralität als Innovationsmotor
Was für die Konsumenten die Wahlfreiheit ist, das ist für die Anbieter neuer Internet-Dienste der Zugang zu den Konsumenten. Das Internet ist darum ein riesiger Innovationsmotor, weil die Marktzugangskosten für neue, kleine Anbieter extrem klein sind. Wenn die Access-Provider den Zugang einzelner Anbieter zu den Kunden dagegen vereinfachen oder verteuern oder gar blockieren können, dann setzt sich nicht mehr die innovativste Lösung durch. Provider versuchen vielmehr, die ganze Wertschöpfungskette vom Zugang bis zu den Inhalten zu kontrollieren. Ihre Monopolstellung gewährt ihnen dann höhere Profite, aber sie wird gleichzeitig zur Innovationsbremse für konkurrierende Dienstanbieter.“
Mantra der Silicon Valley-Lobbisten
Als erstes will ich schon mal dieser mystischen Überhöhung widersprechen, die in den Glaubensgrundsatz „Gutes bzw. neutrales Internet = viel Innovation“ mündet. Wirklich? Ist das so einfach? Ich halte das für Quatsch. In der Geschichte gibt es genug Beispiele dafür, dass sich nicht immer die innovativste Lösung durchgesetzt hat. Da spielen so viele Faktoren wie etwa Timing oder Geld mit hinein, dass ich dieses Fass gar nicht erst aufmachen will. Die in diesem Absatz transportierte simplifizierende Vorstellung ist ein Mantra, dass man sonst nur aus dem Silicon Valley kennt und mit der restlichen Welt nicht so viel zu tun hat.
Kein Streaming – kein Problem
Es ist möglich, dass durch die Kontrolle des Datenstroms zum Endverbraucher neue, kleinere Anbieter benachteiligt sein können. Das stimmt soweit. Aber wenn wir nur kurz das Bild von David gegen Goliath weglegen und das Ganze technisch betrachten, dann bleiben wir immer noch beim gleichen Problem: Bandbreite ist begrenzt. Umgekehrt heisst das: Solange die Start-ups nicht mit Streaming Geld verdienen wollen (oder mit grossen Daten hantieren), gibt es keine Probleme. Und mal ehrlich – wieviele Start-ups im Bereich Streaming wird’s in Zukunft noch geben?
Zahlen müssen die Start-ups sowieso
Und sollten sich dennoch welche auf dieses Terrain wagen, haben sie sowieso das Problem, dass sie irgendwie für einen schnellen Transport ihrer Daten sorgen müssen. (Die Leute haben ja schliesslich vergessen was Buffering ist…) Um das technisch hinzubekommen müssen sie auch heute schon bezahlen, weil schlicht die Knotenpunkte zwischen den Netzen der ISPs nicht immer gleich gut sind. Dafür gibt’s die Content Distribution Networks. Die sorgen mit ihren Servern in den relevanten Netzen für den schnellen Transport überall hin. Facebook nützt zum Beispiel die Dienste von Akamai, und um Facebook müssen wir uns wahrlich keine Sorgen machen.
Das Vorzeigebeispiel Netflix
Gerne wird Netflix als Beispiel für innovative und schützenswerte Start-ups hergenommen. (Was ist eigentlich so innovativ an Netflix?) Unabhängig davon, wie gut mir persönlich House of Cards gefällt, ist Netflix zwar der Auslöser für den ganzen Rummel um die Netzneutralität in den USA, aber längst ist kein Underdog mehr. Mit einem Drittel des us-amerikanischen Datenverkehrs (in der Hauptsendezeit) ist Netflix mittlerweile ein mittelgrosser Mitspieler im Feld der ganz Grossen. Und weil ihr Dienst gerade so beliebt ist, versucht die Firma nun, die Regeln für sich neu zu schreiben (und wenn nötig kleinen ISPs den Tarif durchzugeben – ab Minute 9 wird’s interessant).
Weil es schwer ist, sich beim Thema „Internet der verschiedenen Geschwindigkeiten“ kurz zu fassen, wird es auf den nächsten Post verschoben.