Hör auf zu flennen, Alina.

Digitale Depression

Quelle: Wikimedia Commons

Seit letztem Donnerstag habe ich ein neues Lieblingswort. Es nennt sich „digitale Depression“ und fand sich eher unerwartet in einer Medienmitteilung von Microsoft. Kann sein, dass jetzt einige die Augen verdrehen und finden, das sei nun wirklich schon ein alter Hut. Egal, mir ist‘s neu, und ich find’s toll.

Digitale Depression klingt einfach cool. Als modernes psychosoziales Syndrom hat es das Zeug, den öden Burnout genauso abzulösen wie das schnöde ADHS. Sein Profil ist schwammig genug, dass es sich bei vielen Gelegenheiten gewinnbringend einflechten lässt. Es macht sich gut beim Freitagsbier unter Managerkollegen: „Jungs, ich sag es ungern, aber unser Pace im Q1 und die permanente 24/7-Accessibility treiben mich noch in die digitale Depression. Ich brauche jetzt zeitnah ein Time Out“. Es sorgt für Aufmerksamkeit in den Betroffenheitsecken des Webs: „Hi Leute, ich weiss nicht, wie ihr das erlebt, aber der soziale Darwinismus in diesem Forum hier, der macht mich digital schon langsam irgendwie depressiv.“

Es liefert Zuckerbuben einen Vorwand, sich mal eben im Weissen Haus zu melden: „Bei allem Respekt, Mr. President, Ihr NSA-Schlamassel ist gar nicht gut fürs Geschäft. Wenn wir nicht bald einen New Deal hinbekommen, rutscht uns die Branche in eine digitale Depression.“ Es verhilft schliesslich dem besorgten Erzieher zu mehr Credibility bei der Würstchenpredigt am Küchentisch: „Jetzt hör auf zu flennen, Alina. Hab ich dir nicht schon immer gesagt, dass du dir noch eine digitale Depression holst mit deiner Smartphone-Manie?“ (Was natürlich völlig zwecklos war, weil Halbwüchsige ständig schicke Krankheitsbilder suchen, die sie zur Differenzierung in der Gruppe nutzen können. Aber das nur nebenbei.)

Voilà – die digitale Depression bringt allen etwas und passt hervorragend zu einem aufgeschlossenen Lebensstil. Ich habe sie als Wort des Jahres vorgeschlagen – helfen Sie mit!